Wusstet ihr dass ich noch nie eine Nacht im Krankenhaus verbracht habe? Ich hatte noch nie dieses zweifelhafte Vergnügen, Ich bin noch nicht mal in einem geboren. Ich wohne zwischen zwei Krankenhäusern, besonders das Göttinger Uniklinikum ist ein riesiger Komplex. Moderne Krankenhäuser stehen wie gewaltige Fabriken in unseren Städten, doch auch irgendwie abgekapselt von der Gesellschaft. Was im Krankenhaus passiert, bleibt im Krankenhaus. Zumindest fühlt es sich manchmal so an. Es ist einfach angenehmer die Krankheiten, Unfälle und die harten Arbeitsbedingungen in den Krankenhäusern auszublenden. Das ist in gewisser Weise sehr menschlich und marktwirtschaftlich auch so gewollt. Dann doch lieber eine Krankenhausserie - in Grey's Anatomy sterben mehr Ärzte (die untereinander ein Geflecht an Affären und Ex-Beziehungen haben) als Patienten. Scrubs war eine lockere Comedy. In aller Freundschaft ist mittlerweile älter als ich aber scheint dementsprechend eine Menge Zuschauer zu haben.
Aber das ist halt alles nicht echt. Krankenhaus ist hart, stressig, blutig - ich weiß dass, ich habe vor kurzem nämlich eine gute Krankenhausserie geschaut. This is Going to Hurt ist eine BBC-Produktion aus dem letzten Jahr macht das Ganze britisch und anders. Aktuell kann man das noch in der ZDF-Mediathek streamen, also macht was aus euren Rundfunkgebühren und fangt an die erste Folge zu laden. Ich erzähle euch jetzt erstmal, warum sich das lohnt.
Adam, Protagonist: chronisch überarbeitet und britischer Zyniker bis ins Mark |
Wir folgen Dr. Adam Kay, Arzt in einem potthässlichen öffentlichen englischen Krankenhaus. Er arbeitet dort in der Gynäkologie und führt eigentlich in jeder Folge mehrere Kaiserschnitte durch. Von Anfang an portraitiert das Comedy-Drama den Alltag auf der Station schonungsloser als die meisten Krankenhausserien. Adam arbeitet wahrscheinlich 80 Stunden pro Woche, die Gynäkologie ist im schlechten Zustand, es herrscht gravierender Personalmangel. Durch die Unterfinanzierung hat er nicht genügend Arbeitskleidung, es kommt direkt der nächste Einsatz und der wird dann eben blutbeschmiert durchgeführt. Adam hat auch so eine Art des Helfersyndroms, in welchem er dann doch immer einspringt, um dann bei der Arbeit aber auch ganz viele fiese Sprüche zu klopfen. In 7 Folgen à 45 Minuten begleiten wir Adam. Er wird von Körperflüssigkeiten bespritzt, ist kein besonders guter Lehrer für seine anfangs schüchtere Assistenzärztin Shruti und seine Beziehung leidet unter seinem Stress und Schuldgefühlen, und oft verhält er sich halt auch wie ein - immerhin sarkastisches - Arschloch. Anders gesagt...
Bei Adam läuft's nicht. Nicht nur ist sein Job stressig, auch privat ist es bestenfalls mittelmäßig. Seine reichen Eltern intressieren sich nicht für ihn, er ist ungeouttet schwul und die Beziehung zu seinem Freund Henry leidet unter Adams Arbeit und seinen Traumata. Nicht nur das, Adam scheint so ziemlich unfähig Henry von seinen Schuldgefühlen zu berichten, nachdem er eine Patientin zu früh entlässt, was in der Geburt eines Frühchens resultiert. Kennt ihr diese Filme oder Serien in denen man einem Charakter am liebsten richtig die Meinung geigen würde? This is Going to Hurt ist eine dieser Serien. Und trotzdem guckt man weiter. Dafür sorgt auch der typisch britische bissige und trockene Humor. Dank ihm bleiben wir dran wenn Adam Kaiserschnitte vollführt, zweifelhafte Objekte aus Körperöffnungen birgt (Gynäkologie!), Leben rettet oder sich von seinem Umfeld entfremdet, da es seine harte Arbeit nicht versteht und Adam selbst nicht mehr genau weiß warum er all das tut.
Der galgenhumorige Zynismus ist je nach Betrachter auch eine Schwachstelle der Serie: die Charaktere wirklich zu mögen fällt eventuell schwer. Der Umgang zwischen überarbeiteten Ärzten und Pflegekräften ist rau und von Sprüchen und Sticheleien geprägt. Zum Glück auf die britische Art - die Wissen einfach wie man so richtig schön flucht. Guckt die Serie deswegen wenn möglich auf Englisch. Ich finde Zynismus schnell anstrengend, aber immerhin sind zynische Briten die witzigsten ihrer Art. Muss man aber halt mögen. Stark gespielt sind die Charaktere allemal, Ben Wishaw als Dr. Adam Kay und Ambika Mod als Assitenzärztin Shruti Acharya brillieren in ihren Hauptrollen, auch am Rest vom Cast gibt's nix zu Meckern. Der Gentleman und Chefarzt Dr. Lockhart (Alex Jennings) machte immer eine kleine Freude wenn er auf dem Bildschirm auftauchte. Die Serie deckt verschiedene Aspekte des englischen Habitus (poshe Gentlemans bis prollige Lads) ab, und für sowas habe ich ein Faible.
Von Schuld geplagt und vom Stress gezeichnet fällt es Adam schwer abzuschalten. Wie verwerflich ist es unter diesen Umständen, sich wie ein Arschloch zu verhalten? |
Innerhalb eines Systems das seine Mitarbeiter verschleißt entwickelt sich Shruti zu einer kompetenten und abgestumpften Ärztin |
Technisches
Ich mag an britischen Serien dass die Schauspieler dort normaler aussehen. Überarbeitete Menschen sehen müde aus, haben eine schlechte Haut und all das. In den meisten amerikanischen Produktionen sind die Schauspielerinnen und Schauspieler doch immer normschön. Und deutsche Produktionen haben immer diesen ganz besonderen Look und dieses ganz besondere Feeling in der Schauspielerei. Das ist kein Kompliment! Aber natürlich gibt's auch gute deutsche Filme und Serien. Was ich sagen will: ich mag den Stil von This is Going to Hurt. Ein authentischer Stil, und passend zum Grundton der Serie auch angemessen kalt.
Chefarzt Nigel Lockhart (Alex Jennings) und Hebamme Tracy (Michele Austin) sind kleine Highlights der Serie |
Aber ich empfehle euch die Serie nicht nur weil sie mich unterhalten hat
Eigentlich ist die Serie eine Anklage des kläglichen Zustands im britischen Gesundheitssystem NHS. Der National Health Service des Vereinigten Königreichs ist auf den ersten Blick recht einfach zu verstehen: durch Steuergelder wird die Gesundheitsversorgung bezahlt. Hausärzte und Krankenhäuser kosten dementsprechend nix und und Max Musterfellow hat im Gegensatz zu uns Deutschen nicht die Wahl aus einem Haufen öffentlicher Krankenkassen die eigentlich das Gleiche anbieten, aber irgendwie auch nicht. Der NHS bekommt sein Geld primär vom britischen Gesundheitsministerium, nicht wie das deutsche durch Versicherungsbeiträge. Der NHS ist dabei eine gewaltige Maschinerie, 1.5 Millionen Briten arbeiten für das staatliche Gesundheitssystem. Ein Problem dabei ist aber, dass der NHS unter einer rigiden Haushaltsführung stärker leidet als unser Versicherungssystem, denn weniger Geld im Haushalt der Regierung kann der NHS nicht durch mehr Versicherungsbeiträge kompensieren - diese Versicherungen gibt es schließlich nicht. Genau das ist in Großbrittanien passiert, spätestens seit 2012 durch Einsparungen der Tory-Regierung (damals noch unter James Cameron, der auch mächtig Schuld am großartigen Brexit hat). Dem riesigen Arbeitsgeber fehlt es aufgrund schlechter Arbeitsbedingungen bei mäßigem Gehalt an Arbeitskräften, durch den Sparzwang leidet die Qualität der Gesundheitsversorgung seit 2013. Hier was vom Guardian dazu.
Aber keine Sorge, wer Kohle hat kann schließlich zu privaten Krankenhäusern wechseln. Auch das wird in der Serie thematisiert, Adam übernimmt dort für kurze Zeit eine Schicht und genießt die besseren Arbeitsbedingungen. Nur um dann zu merken, dass hinter der schicken Fassade keine Vorbereitung auf den Ernstfall steckt. Die teure Privatklinik hat nicht genügend Blutkonserven, das Personal ist bei Stress schneller überfordert - und schickt die zahlungskräftigen Privatkunden dann doch zum NHS, der täglich für lau Leben redet.
Trotz der grausigen Arbeitsbedingungen im britischen Gesundheitswesen dachte ich mir beim Schauen, dass ein solidarisch finanziertes Gesundheitssystem in öffentlicher Trägerschaft doch eine der besseren Ideen der Menschheit ist. Denn trotz allem funktioniert das potthässliche St. Claire's Hospital. Trotz allem funktioniert unser Gesundheitssystem doch irgendwie. Der Zyniker Adam, die übermüdete Shruti oder die labile Hebamme Trace machen dennoch hingebungsvoll ihre Arbeit. Wahrscheinlich wäre die Versorgung der Patienten noch besser, würden die Ärzte und Pflegekräfte nicht ausgebrannt werden.
Der fünftgrößte Arbeitgeber der Welt, der NHS, kann seine Verluste an Arbeitskräften kaum kompensieren. Für immer mehr ist die harte Arbeit das Geld nicht wert. Ein Screenshot vom Guardian, eine der besseren britischen Zeitungen. |
Volkswirtschaftliche Geniestreiche wie der Brexit taten ein übriges, wobei die Serie in den 2000ern spielt (gut zu Erkennen an den benutzten Handys) und der Brexit dementsprechend irrelevant ist. Die Situation in britischen Krankenhäusern war schon vorher prekär, wenn man dann auch noch Tausende von (meist osteuropäischen) Pflegekräften vergrault wird die Situation nicht besser. Tendenziell eben doch eine ganz passable Idee, die EU, trotz Fehlern in der Ausführung.
Es ist schon okay dass von This is Going to Hurt keine zweite Staffel erscheinen wird. Das Quellmaterial ist ausgeschöpft. Nicht nur basiert die Serie auf einem gleichnamigen Buch, Dr. Adam Kay gibt es wirklich und er hat dieses Buch geschrieben und jetzt auch die Serie dazu. Der echte Adam Kay hat bis 2010 als Arzt für den NHS gearbeitet, dann hat er es nicht mehr ausgehalten. Beim Schauen der Serie versteht man warum.
Zuletzt ist die Musik der Serie solide ausgewählt. Britischer Indie z.B. von Maximo Park oder Florence + the Machine, gefällt mir. Kurzgesagt: Gute Serie. Definitiv wert ihr eine Chance zu geben, auch wenn man mit dem Genre Krankenhauskram eigentlich nichts anfangen kann. Ich hoffe deutsche Produzenten würden sich so eine Produktion trauen, die Serie könnte auch in einem deutschen Krankenhaus funktionieren. Immerhin gibt es gute Reportagen von der harten Arbeit in unseren Krankenhäusern. Schaut mal bei Charité intensiv rein. Oder hört halt denen zu, die im Gesundheitswesen arbeiten. Die wirklichen Leistungsträger unserer Gesellschaft tragen oft keine schicken Anzüge.
Um dem britischen Tagesgeschehen zu folgen empfehle ich neben dem Guardian auch Jonathan Pie. Schonungslos britisch geht dieser Satiriker mit der konservativen Tory-Regierung ins Gericht. Weil diese eben keine Schonung mehr verdient hat. Ansonsten: diese Arte-Reportage. Das britische Volk leidet unter der Gier und Unfähigkeit seiner Regierung und Konzerne, Lichtblick sind die helfenden Menschen direkt bei den "sozial Schwachen".
Aber erstmal schaut ihr jetzt This is going to Hurt.