Nach 4 Semestern der digitalen Leere ist das Campusleben mit all seinen Vielfältigkeiten zurück. Tagsüber fließen Kaffee oder diverse Mategetränke, abends das Bier. Die Hörsäle sind voll, die Campusgastronomie mit einem vielseitigen Sortiment am Start, diverse Köstlichkeiten sind dort zu erwerben. Auch das Abendprogramm ist gut gefüllt: unter Woche gibt es eigentlich immer irgendetwas am Campus zu tun, es werden Filme gezeigt, Diskussionsrunden oder Gruppentreffen veranstaltet und Vorträge gehalten. Und genau von so einem Vortrag möchte ich heute berichten, authentisch, wie es Stammleser von Janphetamin gewohnt sind. Der Lehrstuhl für Politische Theorie hatte eingeladen zu einem Vortrag über die Demokratische Dimension der Repräsentation. Ich bin ehrlich, ich wusste nicht was mich erwartet. Aber ich weiß nach mittlerweile 3,5 Jahren des Studiums der Politikwissenschaft nicht so viel über Politik, wie ich gerne behaupten würde (nicht falsch verstehen, das Studium bereue ich trotzdem nicht). Im Feld der Politischen Theorie klaffen bei mir einige Wissenslücken, es ist an der Zeit diese anzugehen. Den Vortrag hielt Prof. Dr. Dr. h. c. Ulrich Preuß, ein Name der mir nichts sagte, aber aufgrund der vielen Abkürzungen vor seinem Namen sicherlich viel zu sagen hat. Ich entschloss mich, meinen Anteil an der Füllung der Hörsaalreihen zu leisten und um 18.15 Uhr im Hörsaal 6 des Zentralen Hörsaalgebäudes - ein brutalistisches Betonmonster, ähnlich der Central Bus Station Tel Avivs - einem schlauen Mann zu lauschen.
Vorher benötigte ich allerdings etwas Stärkung. Es war warm, mein Mittagessen lag fast sechs Stunden zurück, und ich war ausgelaugt von einer Statistikvorlesung, bei welcher ich widerrum nicht so gut aufgepasst habe, wie ich gerne behaupten würde. Ich schlurfte zu einer Kerninstitution der Göttinger Campusgastronomie und erwarb eine mit Butter gefüllte Bretzel im Cafe Central des Studentenwerks. Ich bemerkte, dass deren Preis auf 1,30€ gestiegen war. Das von mir gerne liebevoll "Gummibretzel" genannte Tiefkühlerzeugnis wird in den Cafes des Studiwerks lediglich aufgebacken, schmeckte aber vorzüglich. Dennoch, langsam wird die Inflation persönlich. Objekt der Begierde: die aufgebackene Gummibretzel gehört zu den kleinen Freuden des Unialltags - besonders wenn die Butter in der warmen Bretzel noch schön cremig ist
Alles in Butter: nur beste Zutaten werden für dieses Teigerzeugnis verwendet |
Wobei ich sie besser inszeniere als die Infotablets des Studiwerks |
Strategisch beobachte ich (und verspeiste nebenbei meine Bretzel), ob noch Menschen vor mir in den Hörsaal gehen würden. Wäre ich der einzige Zuschauer der nicht mit dem Lehrstuhl assoziiert ist - nun, das hätte ich als etwas unangenehm empfunden. Kalorisch aufgerüstet dank gebuttertem Gebäck betrat ich allerdings kurz vor Beginn den Hörsaal und siehe da - es waren sogar Freunde anwesend! Ich wusste: allein schon deswegen wird dieser Abend schonmal kein Reinfall. Da ich gänzlich ohne Vorwissen in diesen Vortrag ging und mein Wissen zu diesem Thema - ich konnte es ehrlich gesagt nichtmal wirklich präzise benennen und erklären - begrenzt ist, war mir klar, dass sich mein Kenntnisstand diesbezüglich ohnehin um ein Vielfaches erweitern würde. Ich schlug die Notizseiten in meinem Kalender auf (Benutzt die eigentlich jemand? Ich habe es auch nur getan weil ich meinen Block vergessen hatte) und lud meinen Füller mit einer neuen Patrone - den hatte ich wahrscheinlich seit mehr als einem Jahr nicht benutzt. Es war Zeit für eine richtige Unierfahrung alter Schule, und ich war dementsprechend ausgerüstet.
Alter Schule ist hier wirklich ernst gemeint, in der Laudatio zum Vortrag stellte die Lehrstuhlinhaberin, offiziell Veranstalterin des öffentlichen Vortrags, den Dozenten, Herrn Prof. Dr. Dr. h. c. Ulrich Preuß vor. Ein 1968 promovierter 68er, der im Rahmen des Sozialistischen Anwaltskollektivs Anfang der 1970er auch Ulrike Meinhoff vertreten hatte. Doch nicht nur das: dieser Public Intellectual wirkte 1990 im Rahmen des Runden Tisches an einer neuen, wahrhaftig demokratischen Verfassung für die DDR mit! Diese wurde aus allseits bekannten Gründen allerdings niemals implementiert. Von daher ist es wahrscheinlich halb so wild, dass Herr Professor Doktor Preuss den Laptop von damals, inklusive darauf gespeichertem Verfassungsentwurf, verloren hat. 1990 gab es tatsächlich schon Laptops! Im selben Jahr wurde interessanterweise auch die Diddl-Maus erfunden.
Modernste Westimporte ermöglichten 1990 die Formulierung einer neuen Verfassung im tragbaren Format. Der Nachteil: sowas kann man leider auch verlegen... |
Nach einigen Minuten kommen wir zum Vortrag an sich - ja, ich lasse mir hier Zeit, aber dieser Post soll eben ein authentischer Erfahrungsbericht sein. Beißt beim Lesen doch einfach mal in eine leckere Butterbretzel, um das Ganze so richtig nachvollziehbar zu gestalten.
Nun erzählt Professor Preuß, Jahrgang 1939, aber noch ganz fit und mit einer coolen Krawatte ausgestattet, die innerhalb ihres Musters ein Bücherregal abbildet. Der Vortrag Die demokratische Dimension der Repräsentation stellt Schlussendlich auch eine Art Wunschliste des Dozenten an das Demokratieverständnis der Öffentlichkeit da. Ich selbst versuche ihn im Folgenden mit Hilfe meiner Notizen zu rekapitulieren. Ich bitte um Verständnis, ich habe schon im Saal nicht alles verstanden (die Tontechnik hat allerdings tadellos funktioniert).
Wir beginnen die Erkundung des vagen Themas im 15. Jahrhundert, schon damals wagte sich ein großer Denker an die Frage, wer eigentlich wen repräsentieren kann. Ich werde für diese Schilderungen wirklich nichts googeln und alles anhand meiner Erinnerungen und Notizen aufführen. Herr Preuß konnte sich die demokratische Verfassung der DDR 1990 schließlich auch nicht zusammengoogeln, wenn ich hier schon über seinen Vortrag schreibe, bin ich ihm eine ähnliche Arbeitsweise schuldig. Ich würde meine Gedanken hier allerdings nicht als zitierfähig einstufen. Zurück zum Vortrag: eigentlich ist Repräsentation ein Kampfbegriff. Erinnern wir uns zum Beispiel an die amerikanische Revolution und die Boston Tea Party: "No taxation without representation"; oder an die französische Revolution, in welcher sich der dritte Stand eine Stellung innerhalb des politischen Systems Frankreichs erkämpfte. Aber der Begriff Repräsentation ist vielschichtig: wer bestimmt wer repräsentiert wird? Wer wählt die Repräsentanten aus, welche Stellung hat ein Repräsentant gegenüber dem Volk und welche Kompetenzen hat er? Und überhaupt das Volk: Was genau ist das eigentlich? Verfassungstechnisch entsteht ein Volk durch eine Verfassungsgebung. Aber Halt: wer gibt dem Volk die Verfassung, wenn nicht das Volk? Komplexe Probleme der Politischen Theorie und Rechtsphilosophie stellen sich, zum Glück bin ich durch den Genuss meiner Gummibretzel dazu in der Lage, mich diesen komplexen Fragen zu stellen.
Ich lerne das Volk als Kollektivsubjekt zu verstehen, ein schönes Wort wie ich finde. Dann packt Herr Preuß ein heißes Eisen an: Carl Schmitt. Carl Schmitt? Aber der Mann war doch Nazi, Topjurist im Dritten Reich! Ich habe ehrlich gesagt zu wenig Ahnung von dieser Materie und passe bei diesem Part des Vortrags nicht genügend auf. Doch dank eiserner Willenskraft gelingt es mir, mich aus dem Griff meines Smartphones zu befreien. Jetzt reden wir auch schon über einen cooleren Rechtswissenschaftler: Gerhard Leibholz, selbst eine Persönlichkeit der Universität Göttingen, jüdischer Nazigegner und Bundesverfassungsrichter der ersten Generation. Leipholz vertrat die Meinung, dass über unserer liberalen Demokratie der Parteienstaat liegt, der die Bevölkerung repräsentieren soll. Spätestens hier kratzen sich die Leute, die wirklich Ahnung von der Materie haben, die Augen aus. Aber ich habe bereits angemerkt: ich schreibe es auf, wie ich es verstanden habe. Der offene Wikipedia-Tab dient nur der Absicherung der richtigen Schreibweise für die Personen, versprochen. Zurück zur Repräsentation: diese ist wichtig um die Einheit des Volkes darzustellen. Anhand der Informationen, die ich meinen Notizen (nicht) entnehmen kann, merke ich, dass ich hier mit dem Mitschreiben wohl nicht hinterherkam. Deswegen wechseln wir direkt zum nächsten Juristen: Martin Draht, eher dem linkeren Spektrum zuzuordnen und deswegen in der Justiz der jungen Bundesrepublik teilweise ausgegrenzt oder diffamiert. Laut Professor Preuß empfand Draht eine möglichst geringe Hierarchie zwischen den Repräsentanten und den Repräsentierten als wichtig. Beide sollten sich als gleichberechtig verstehen und einander respektieren. Dabei müssen Repräsentanten und Repräsentierte einander nicht identisch sein: Professor Preuß meint, in einer Demokratie wird eher der Status der Menschen (als wählende, politische Staatsbürger?) repräsentiert, nicht seine Identität. Wer sich noch nicht seine Augen ausgekratzt hat merkt nun: jetzt kommen wir zu aktuellen Debatten. Braucht unsere Demokratie quotierte Wahllisten? Ich möchte gerade nicht unbedingt darüber schreiben, es ist kompliziert und meine Meinung ist diesbezüglich nicht gefestigt.
Wir kommen nun zum Ende von Professor Preuß' Vortrag. Die genaue Argumentation des Dozierenden ist mir entfallen, doch der betagte Professor teilt gegen den Populismus aus. Dessen spaltende Rhetorik bewirke im Endeffekt das Gegenteil von Repräsentation. Ich setze meinen Füller ab, mir kommen verschiedene Gedanken: erst am Wochenende haben die Schleswig-Holsteiner ihrer Demokratie einen Gefallen getan und die Demagogen der AfD aus dem Parlament gefegt, das finde ich gut, besonders jetzt, wo Herr Preuß den Populismus anspricht. Zumindest den Populismus der AfD können wir nicht gebrauchen, da bin ich mir sicher. Außerdem merke ich, wie wenig ich nach dreieinhalb Jahren des politikwissenschaftlichen Studiums eigentlich weiß. Ich habe jedoch keine Zeit ein eventuell verunsichertes Ego zu beschwichtigen, im Hörsaal wird auf den Tisch geklopft und es kommt zur Fragerunde. Ich schüttele meinen Füller und bereite mich auf weiteren Input vor.
Die Lehrstuhlinhaberin für Politische Theorie merkt die Aktualität des Themas an: Robert Habeck sagt, er tue das Richtige, gleichzeitig bedrohe seine Politik ja auch die Arbeitsplätze in den ostdeutschen Ölraffinerien. Über Politik nachzudenken bedeutet eben immer auch, über Repräsentation nachzudenken. Solch eine Reflektion lohnt sich, wenn man auch morgen noch in einer Demokratie leben möchte. Inwiefern ist es repräsentativ, politische Entscheidungen zu treffen die einigen Missfallen, ihnen eventuell sogar zunächst schaden? Nun, ich glaube Robert Habeck liest kein Janphetamin, doch mir gefällt der Gedanke, mit ihm bei einer Flasche Flensburger (Plop!) darüber zu reden.
Doch es wird noch etwas kontroverser, ich lasse meine Notizen für sich sprechen:
Eventuell sollte ich mich für meine Handschrift entschuldigen |
Innerhalb der Diskussion nähern wir uns dem Ende der Veranstaltung. Mein Blick schweift durch das männlich dominierte Publikum, als ich versuche das Gehörte zu verarbeiten und mich auf die letzten Infos vorbereite. Ich selbst stelle Herrn Preuß keine Frage, dafür bin ich auch im achten Semester nicht schlau genug. Ich bin aber schlau genug zwei wichtige Aussagen von Professor Preuß mitzunehmen. Er merkt an, dass Repräsentation theoretisch auch ohne Demokratie geht, eine Demokratie aber gleichzeitig repräsentativ sein muss. Und er mahnt an, das Demokratie auch dadurch demokratisch ist, dass ihr Grenzen gesetzt sind. Es ist wie mit der Freiheit. Ich weiß nicht mehr was genau ich zum Ende der Veranstaltung denke, ich schätze es ist eine Mischung aus: "Verdammt, es ist schon schön in Deutschland, einer liberalen Demokratie, zu leben" und "Ich möchte an die frische Luft". Zum Schluss wird außerdem nochmal aufs Mehrheitswahlrecht geschimpft, immerhin diesbezüglich habe ich mir nach Jahren des Studiums eine Meinung gebildet: ich finde es ebenfalls scheiße.
Herr Prof. Dr. Dr. h. c. Preuß bekommt für seinen Vortrag noch ein Buch über Göttingen geschenkt, und als ich den Hörsaal verlasse wird mir bewusst, wie großartig das Alles eigentlich ist: ich habe höchstens die Hälfte verstanden, fühle mich aber trotzdem schlauer. Das ist Uni. Das geht nicht online. Zumindest nicht für mich und meine Aufmerksamkeitsspanne, die sich besonders an Bildschirmen drastisch reduziert. Ich bin froh den Abend für diesen Vortrag genutzt zu haben (zugegeben, es ist erst 20 Uhr, aber ich weiß schon dass ich an diesem Abend keine intellektuellen Meisterleistungen mehr vollbringen werde). Aber ich habe meine schönen Notizen, und denke mir: "Hey, mach doch einfach einen Blogbeitrag draus?". Hoffentlich ist es der Start einer neuen Serie von Artikeln hier auf Janphetamin, diesmal möchte ich es wirklich schaffen. Ich bin mir sicher, mit der Inspiration durch richtige Uni und der Kraft der Gummibretzel wird es mir gelingen. Der nächste Post wird bestimmt auch verständlicher. Zu wissen worüber ich dann gerade schreibe könnte dabei hilfreich sein.
Wofür, wenn nicht für einen Blogbeitrag? |
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