Montag, 4. Dezember 2017

Arafat überall, oder: Ramallah

Der Bus von Ostjerusalem nach Ramallah kostet nur 1,50€, schnell war mir klar das Palästina mir gefallen würde.
Auch überzeugt das Konzept der palästinensischen Busse, welche einen vom arabischen Ostjerusalem in die Städte des Westjordanlandes bringen.
Im Gegensatz zu Deutschland hat man hier erkannt das Bushaltestellen ein archaisches Konzept sind. Um außerhalb des Busbahnhofes einzusteigen winkt man den Bus einfach ran, zum aussteigen drückt man einfach auf den Knopf. Der Wirbelsäulenschaden den man eventuell durch das ständige abbremsen und anfahren erleidet gehört halt dazu, irgendwo muss bei diesen Preisen ja auch der Haken sein.
In Ramallah kam ich gegen neun etwa an, es war nicht mehr so viel los, doch als man mir erzählte ein Falafelpita koste hier nur fünf Shekel (1,20€) anstatt der etwa 15 in Tel Aviv oder (Teilen von) Jerusalem wusste ich es war die richtige Entscheidung herzukommen.
Den nächsten Tag sah ich mir also Ramallah an, nichts spektakuläres aber eine Gelegenheit über das Leben in Palästina zu schreiben, Janphetamin existiert ja auch um den Leser zu bilden müsst ihr verstehen.
Es ist chaotischer, schmutziger, ärmer und orientalischer hier als in Israel, was ja auch Sinn macht. Letzteres ist übrigens keine negative Eigenschaft, bitte nicht falsch verstehen.
Wasser ist kostbar in Palästina, große Teile des Süßwassers im Westjordanland werden von den Besatzern nach Israel geleitet oder von den Israelischen Siedlern verwendet. Die genießen in ihren abgeschotteten Siedlungen Pools und grüne Vorgärten, während die Palästinenser oftmals schon ihre Reserven einsetzen und Wasser importieren müssen.
Etwa 10.000 Siedler im Jordantal verbrauchen etwa ein Drittel des Wassers im Westjordanland.
Versuche der Palästinenser die Wasserinfrastruktur auszubauen werden nicht genehmigt oder von den Israelis abgebrochen.
Ein bisschen mehr über diesen Konflikt erkläre ich euch demnächst in einem Post über Bethlehem (von wo ich das hier schreibe) und Hebron. Also ich will es zumindest versuchen.
Kurz zusammengefasst: die Israelischen Siedlungen im Westjordanland sind illegal, da das Völkerrecht verbietet auf besetztem Gebiet zu siedeln.
Der Israelischen Regierung ist das aber eher egal, es wird weiter gesiedelt und das Westjordanland dadurch zerfurcht, was einen zusammenhängenden palästinensischen Staat kaum möglich macht. Sogar bei Ramallah, der "Hauptstadt" Palästinas (Eigentlich ist das Jerusalem sagen die Palästinenser) gibt es mehrere Siedlungen.
Auch sind die Straßen voll, überall Menschen und Geschäfte. Und der Verkehr bewegt sich meistens nur in Schrittgeschwindigkeit, ein Zebrastreifen sagt nichts aus, überall ist Zebrastreifen - und gleichzeitig nirgends.
Und es ist schmutzig und ärmer. Brachland ist immer sowas wie eine Mülldeponie, eine Flasche oder sowas einfach wegwerfen ist völlig normal.
Das klingt alles erstmal negativ, doch trotzdem hat Ramallah viel zu bieten und ist eigentlich eine coole Stadt. Auch wenn ich das jetzt nicht so rüberbringen konnte.
Ab dem zweiten Tag war ich mit zwei Schwaben aus dem Hostel unterwegs.
Marcel, Deutschlands jüngster Einrichtungsleiter einer Gemeinschaftsunterkunft für Geflüchtete, auch bekannt als Flüchtlingsheim (hey Zeit, bringt mal einen Leitartikel oder sowas über den, die vom Cicero haben auch schon über den geschrieben) und Jens, der wollte das ich ihn als arbeitslosen Arbeitslosen bezeichne. Einen Gefallen, den ich gerne erfülle. Mit Jens und Marcel ging ich unter anderem zum Mausoleum von Jassir Arafat. Das ist der große Anführer und der erste Präsident der Palästinenser, der 2004 gestorben ist, laut dem Museum über Arafat vergiftet von den Israelis. Ob das wirklich stimmt? Das Museum vermittelt eine unkritische palästinensische Sicht der Dinge, palästinensische  und arabische Niederlagen sind eher unwichtig und palästinensische Terroranschläge wie 1972 in München nicht weiter diskutiert. Trotzdem ganz interessant, es gibt zum Beispiel seine Brille, seine Pistole und seinen Schal zu sehen. Nach Arafats Tod konnte niemand mehr so wirklich die Palästinenser vereinen. Das ist auch einer der Gründe warum die radikalen Islamisten der Hamas den Gazastreifen seit 2007 kontrollieren. Für viele hier ist Arafat aber immer noch der große Anführer, er lächelt von Plakaten auf der Straße, von Portraits in Kaffeehäusern und Shishabars. Deswegen habe ich diesen Post auch diesen Namen gegeben. Und vielleicht auch weil einfach nur "Ramallah" nicht so die Aufmerksamkeit des Lesers weckt. Diese zu verlieren ist schließlich die Aufgabe meiner Beiträge an sich. Aber immerhin hab ich Fotos!
Etwas deprimierend, aber auch sehr interessant war der Besuch eines Flüchtlingslagers. In Palästina gibt es die seit 1948, und es sind schon lange keine Zeltstädte mehr, sondern eher Armenviertel. Mit schlechterer Infrastruktur. Da das Hostel am Freitag keine Touren oder sowas anbot bin ich einfach alleine hingegangen, Jens und Marcel waren am morgen abgereist.
Zunächst wird man von den Leuten angeschaut, wobei diese sich aber über Besuch freuen. Die Sprachbarriere ist größer als im Rest von Ramallah. Ich ließ mich von ein paar 13-Jährigen rumführen, spielte Billiard und trank ein bisschen Tee. Eine unglaublich coole Erfahrung für 20 Shekel insgesamt. Also fünf Euro, die Währung umrechnen ist hier zum Glück sogar für mich möglich.

Zum interessanten Part: als selbsternannter Nightlife-Tester™️ für Israel und Palästina muss ich natürlich auch das in Ramallah bewerten. Mit Jens und Marcel war ich zunächst in einer Bar namens Garage, sehr voll, aber aus gutem Grund. Das Ambiente ist schön, die Preise gehen in Ordnung. Ich sollte anmerken das es nicht in allen Läden Bier und Alkohol gibt. Trotzdem kommt man da problemlos ran, sowas wird halt fast nur bei christlichen Händlern verkauft. Bier wird in Palästina angeblich nur im christlichen Dorf Taybeh gebraut, das liegt bei Ramallah. Was das Nachtleben ebenfalls fördern dürfte ist die Nähe Ramallahs zur Universität von Birzeit, was dazu führt das Ramallah die liberalste Stadt Palästinas ist.
Zum Bier: es ist okay. Ich würde gerne schreiben es war ein phänomenales Geschmackserlebnis, welches man nur hier kriegen würde, aber das stimmt halt leider nicht. Schlecht ist es allerdings auch nicht, und bestimmt wird es mit viel Liebe und Handwerkskunst gebraut.
Das zweite Etablissement welches der Nightlife-Tester™️ frequentierte war der Berlin Pub. Hatte schon ein bisschen was Deutsches, ich traf dort auch ein paar deutsche (und österreichische) Studenten. Der Laden war schon ziemlich gut, die Location, ein typisches altes arabisches Haus ist gemütlich und die Musik  war eine gute Mischung aus arabisch und internationalem. Ja, für diese, ich nenne sie einfach Mal arabische Party Musik entwickelt man schnell ein Faible.

 Was ich ganz vergessen hatte über Tel Aviv oder Jerusalem zu schreiben: die Leute hier, egal ob Palästinenser oder Israeli stehen auf Latino Musik. Und weil ihr bis hier hin gelesen habt bekommt ihr auch den Link zu Despacito auf arabisch. Aus irgendeinem Grund musste ich schmunzeln als ich das gehört habe.




Ich kann euch ehrlich gesagt nichts vorwerfen wenn ihr hier runtergescrollt oder den Text nur überflogen habt. Das ist echt ein etwas zu langer Post. Aber egal, hier sind Fotos.

In Arafats Mausoleum, mit Jens, Jenny und Maren und zwei Gardisten die etwas erstaunt waren das keiner von uns verheiratet ist.

Der Arafatsquare in der Innenstadt.

Ein Plakat in der Altstadt auf welchem inhaftierte Palästinenser gezeigt werden. Märtyrerkult ist eine große Sache hier, von den Besatzern getötete oder gefangene Palästinenser werden auf Postern und ähnlichem gewürdigt, der Widerstand ist so etwas wie ein Kernelement der palästinensischen Identität.

Im Al Am'ali Flüchtlingslager in Ramallah, politische Murals sind hier allgegenwärtig. Es gab sogar eins von Saddam Hussein, viele Palästinenser finden den gar nicht so übel.

Das auf dem Hügel ist Psagot, eine israelische Siedlung nahe Ramallah. Die Siedlungen sind meist schnell zu erkennen: einheitliche Häuser, auf einem Hügel, umgeben von einem Zaun oder einer Mauer.

Billiard mit ein paar Flüchtlingskindern, Mustafa (der Ältere an der Tischecke) war sowas wie mein Übersetzer und weiß wie man guten Tee macht.

Es weihnachtet auch in Ramallah

Das einzige Foto aus dem Berlin Pub ist mein Pass unterm Schwarzlicht. Aber hey, das sieht voll dope aus oder?

Eng und eher schmutzig, aber trotzdem ist so ein Flüchtlingslager eine enorm interessante Erfahrung.

Arafat in der Innenstadt.

Eine Art Arafat Schrein im Flüchtlingslager. Der Kult um Arafat und Märtyrer ist hier nochmal doppelt so stark wie in Ramallah

Der Gemüsemarkt in Ramallah ist gefühlt der lauteste Ort der Stadt. Auch kommt es mir so vor als wären Obst und Gemüse hier 50 Prozent größer als zu Hause.


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